Haftungsfragen bei Hunderangeleien

Haftungsfragen bei Hunderangeleien: Wer muss für den Schaden zahlen?

Ein Überblick über die aktuelle Rechtsprechung

Wenn Hunde aufeinander treffen, kommt es mitunter zu Rangeleien, die sich bis hin zu gefährlichen Auseinandersetzungen entwickeln können aber natürlich nicht müssen. Dass die Tiere sich dabei gegenseitig verletzen kommt leider auch häufig vor, wenn aber auch noch ein Mensch „zwischen die Fronten“ gerät, kann es für diesen ebenfalls üble Folgen haben. Allzu oft haben diese unschönen Begegnungen zudem ein juristisches Nachspiel, in dem die Halter der Hunde sich erbittert um Schadensersatz streiten. Für diese Schadensersatzansprüche kommen verschiedene rechtliche Anspruchsgrundlagen in Betracht, die von der Rechtsprechung jedoch in verschiedenen Fallkonstellationen unterschiedlich angewendet werden. Worauf es dabei insbesondere ankommt, zeigt der folgende grobe Überblick:

Jeder Hundehalter hat grundsätzlich für die von seinem Tier stets potentiell ausgehende sogenannte „Tiergefahr“ einzustehen. Das bedeutet: Egal, ob er etwas dafür kann, dass der Hund einen anderen verletzt oder die Sache eines anderen beschädigt: Der Halter haftet grundsätzlich für sein Tier (sog. Gefährdungshaftung) Dies besagt § 833 S.1 BGB.

Die Gerichte haben jedoch stets zu prüfen, ob sich in dem konkreten Schaden auch tatsächlich diese „Tiergefahr“ ausgewirkt hat, also ob sie im Rechtssinne kausal für den Schaden geworden ist. Dies ist nur dann der Fall, wenn eine typische Tiergefahr vorgelegen hat. Die Gerichte umschreiben diese typische Tiergefahr als ein „der tierischen Natur entsprechendes unberechenbares und selbständiges Verhalten“.

Ein solches „der tierischen Natur entsprechendes unberechenbares und selbständiges Verhalten“ liegt beispielweise nicht vor, wenn keinerlei eigene Energie des Tieres an dem Geschehen beteiligt war (wenn sich zum Beispiel ein Hund bei dem Angriff eines anderen in keiner Weise wehrt, sondern er rein passiv bleibt) oder wenn ein Tier lediglich der Leitung und dem Willen eines Menschen folgt (wenn also beispielsweise ein Halter seinen Hund auf einen anderen hetzt und der Hund nur angreift, weil er den entsprechenden Befehl seines Halters ausführt). In solchen Fällen wäre dann die typische Tiergefahr zu verneinen.

Allerdings können bereits von einem Tier ausgehende und auf ein anderes Tier einwirkende Reize eine solche Tiergefahr darstellen; dies ist zum Beispiel der Fall bei dem von läufigen Hündinnen ausgehenden Duft, der Rüden anlockt.

Wenn zwei Tiere beteiligt sind, muss hinsichtlich der Haftungsquote stets geprüft werden, wie die jeweiligen Verursachungsbeiträge zu gewichten sind; vereinfacht gesprochen: Wer hat wie viel „Schuld“? Dieser Anteil wird dann von dem eigenen Anspruch abgezogen. Das heißt also beispielsweise: Wenn ich als Hundehalter von einem fremden Hund gebissen wurde, weil beide Hunde sich in einem Gerangel befanden, muss zwar der Halter des fremden Hundes für meinen Schaden (zum Beispiel Arztkosten, eine zerbissene Jacke etc.) aufkommen, jedoch muss dabei angerechnet werden, dass mein Hund in das Ganze verwickelt war und sich daher auch die typische Tiergefahr, die von meinem eigenen Hund stets ausgeht, ausgewirkt hat. Denn sobald sich auch mein Hund auf ein Gerangel einlässt, hat er alle Schäden, die die kämpfenden Hunde verursachen, mitverursacht, ganz gleich ob diese Schäden bei mir selber oder bei einer fremden Person/ Sache entstehen. Rechtlicher Anknüpfungspunkt hierfür ist § 254 Abs. 1 BGB.

Der Bundesgerichtshof hat diesen Grundsatz in einem aktuellen Urteil noch einmal deutlich hervorgehoben (BGH, Urteil vom 31. Mai 2016, Aktenzeichen: VI ZR 465/15):
In dem zugrunde liegenden Fall war ein Hundehalter mit seinem angeleinten Labradormischling an einem mit einer Hecke umgrenzten Grundstück spazieren gegangen, auf dem sich ein Golden Retriever aufhielt. Dieser zwängte sich durch die Hecke und lief auf den Labradormischling zu; in der Folge entwickelte sich ein Gerangel und ein Kampf zwischen den beiden Hunden, bei dem der Halter des Labradormischlings von dem Golden Retriever gebissen wurde. Die Vorinstanzen (Landgericht Erfurt (Urteil vom 9. September 2014, Aktenzeichen: 8 O 1517/11) und Thüringer Oberlandesgericht (Urteil vom 16. Juli 2015, Aktenzeichen: 1 U 652/14)) hatten seine Mithaftung ausgeschlossen, da der Labradormischling nach ihrer Einschätzung eine nur passive Rolle gespielt hatte. Doch dagegen wehrte sich die Halterin des Golden Retrievers, und der Bundesgerichtshof gab ihr in dieser Hinsicht Recht: Zu dem Zeitpunkt, als das schädigende Ereignis, also der Biss, stattfand, beschränkte sich die Rolle des Labradormischlings nämlich nicht nur darauf, ein passiv an der Leine geführter Hund zu sein, sondern es hatte sich bereits ein Gerangel und ein Kampf zwischen beiden Hunden entwickelt, sodass sich in dem Biss letztendlich nicht nur die Tiergefahr des Golden Retrievers, sondern auch die des Labradormischlings ausgewirkt hatte. Deshalb hob der Bundesgerichtshof das Urteil auf und verwies die Sache zu einer erneuten Verhandlung an das Oberlandesgericht zurück, das nun über die konkreten Haftungsquoten (s.u.) entscheiden muss.

Für diese generelle Mithaftung ist auch egal, was Auslöser des Gerangels war und welcher der beiden Hunde bei dem Ganzen eine über- oder untergeordnete Rolle eingenommen hat. Allerdings sind diese Aspekte wichtig, um die Mithaftung letztlich in konkreten Zahlen ausdrücken zu können, denn sie sind maßgeblich für die Haftungsquote, die das Gericht bildet. Diese besagt, wer letzten Endes wie viel der Kosten tragen muss.

Es gibt jedoch auch Ausnahmen von der Mithaftung: Wenn beispielsweise der andere Hundehalter nicht nur wegen § 833 S. 1 BGB, also aufgrund der typischen Tiergefahr (s.o.) haften muss, sondern wenn er sich auch noch etwas anderes hat zu Schulden kommen lassen, das letztlich zu dem konkreten Schaden geführt hat, dann wirkt sich die von dem eigenen Tier des Geschädigten ausgehende Gefahr nicht mehr aus. Gesetzlich ist dies in

§ 840 Abs. 3 BGB festgeschrieben. Dies ist zum Beispiel dann der Fall, wenn der andere seinen Hund fahrlässig nicht genügend beaufsichtigt oder ihn auf einem nicht ausbruchsicheren Grundstück laufen gelassen hat. Passiert deswegen dann etwas, das zu einem Schaden, z.B. einem Biss, führt, haftet der andere nicht nur aus § 833 S. 1 BGB, sondern aufgrund seiner Fahrlässigkeit vorrangig aus § 823 Abs. 1 BGB. Sein Verschulden wiegt dann also schwerer als die „nur“ stets vorhandene typische Tiergefahr. Der Nachteil an dieser Haftung ist allerdings, dass die Fahrlässigkeit erst vor Gericht bewiesen werden muss, was nicht immer gelingen wird. Auch das Thüringer Oberlandesgericht muss in dem oben genannten Fall wegen der Zurückverweisung durch den Bundesgerichtshof nun prüfen, ob die Halterin des Golden Retrievers den Hundebiss fahrlässig verursacht hat, indem sie ihren Hund auf einem Grundstück hat laufen lassen, das lediglich mit einer Hecke umgrenzt war, durch die sich ihr Hund zwängen konnte. Bejaht das OLG dies, so muss sich der durch den Biss verletzte Hundehalter die typische Tiergefahr seines Labradormischlings nicht zurechnen lassen, d.h. sein Anspruch würde nicht gemindert werden.
– Auch aus einem anderen Grund kann sich die typische Tiergefahr letztlich in der Haftung nicht auswirken, nämlich dann, wenn ein Hundehalter alle Vorsicht außer Acht lässt und in den Hundekampf eingreift. Wird er dabei gebissen, hat er sich selbst in Gefahr gebracht und kann von dem anderen Hundehalter keinen Schadensersatz mehr verlangen. Dazu stellte z.B. das Landgericht Stade unmissverständlich fest: „Jeder vernünftige Hundehalter würde wegen der Risiken für die eigene Gesundheit davon absehen, in einer derartigen Situation mit der bloßen Hand in den Kampfbereich der Hunde einzugreifen.“ (LG Stade, Urteil vom 06. April 2004, Aktenzeichen: 4 O 90/03). Dabei ist es auch unerheblich, ob man eingegriffen hat, um seinen eigenen Hund zu schützen: Bringt man sich dabei selbst in Gefahr, ist man auch rechtlich in der Verantwortung für seine Verletzung. Um haftungsrechtlich auf der sicheren Seite zu sein, sollte man also keinesfalls mit bloßen Händen dazwischen gehen.

Ableinen des Hundes

Durch Zustimmung zum Ableinen des Hundes kein Mitverschuldensanteil nach § 254 BGB

AG Bergheim, Urteil vom 19.03.2015, 26 C 368/14

Berufung: LG Köln, Urteil vom 21.10.2015, 13 S 79/15

Problematisch ist, ob in der Zustimmung zum Ableinen der Hunde eine Sorgfaltspflichtverletzung und damit ein Mitverschulden eines Geschädigten (Hundehalter) gesehen werden kann. Dies ist am nachfolgenden Fall näher geschildert.

Der Sachverhalt:

Im zugrunde liegenden Rechtsstreit klagt der Arbeitgeber eines wegen einer Verletzung arbeitsunfähigen Arbeitnehmers gegen den Beklagten. Der Beklagte ist Halter eines Labradors, welcher bei einem Spaziergang den Schaden des Arbeitnehmers herbeiführte.

Die Verletzung entstand bei einem Spaziergang des Arbeitnehmers mit seinem Jack-Russell-Terrier. Er traf auf den Beklagten, der seinen Labrador bei sich führte.

Nach einer kurzen Absprache waren die beiden Halter in Begriff ihre Hunde abzuleinen, damit diese miteinander spielen könnten.

Allerdings dauerte das Ableinen des Jack-Russell-Terriers länger, sodass der Labrador zuerst abgeleint war. Der Labrador rannte auf den Jack-Russell-Terrier zu und verfing sich in dessen Leine. Aufgrund der plötzlich angespannten Leine verletzte sich der Halter des Jack-Russell-Terriers an seiner Hand.

Infolge dieser Verletzung war er zunächst arbeitsunfähig. Seinem Arbeitgeber – hier der Kläger – entstand dadurch ein Schaden.

Diesen Schaden möchte er nun vom Halter des Labradors ersetzt haben.

Die Entscheidung der Gerichte:

Zunächst beschäftigte sich das Amtsgericht Bergheim mit dem Fall und bejahte einen Anspruch des Klägers. Der Arbeitgeber sei infolge der Arbeitsunfähigkeit des Mitarbeiters geschädigt. Diese Arbeitsunfähigkeit könne auch dem Beklagten zugerechnet werden, der für die Tiergefahr seines Labradors hafte.

Daraufhin legte der Beklagte Berufung vor dem Landgericht Köln ein. Seiner Ansicht nach müsse dem Jack-Russell-Halter in der Zustimmung zum Ableinen ein Anteil von Mitverschulden zugerechnet werden.

Grundsätzlich folgt die Haftung des Beklagten aus § 833 BGB. Der Tierhalter ist demnach verpflichtet, dem Verletzten den entstandenen Schaden zu ersetzen. Der Schaden wurde durch das Tier verursacht, wenn sich die durch die Unberechenbarkeit tierischen Verhaltens hervorgerufene Gefährdung von Leben, Gesundheit und Eigentum verwirklicht hat.

Gemäß § 254 BGB muss der Geschädigte sich einen Mitverursachungsbeitrag anrechnen lassen, wenn von seinem eigenen Tier ebenfalls eine Tiergefahr ausging.

Bei zwei beteiligten Tieren bestimmt sich die Quote des Mitverschuldensanteils danach, in welchem Maße das in den Tieren verankerte Gefahrenpotential konkret an der Schädigung mitgewirkt hat.

Vorliegend wurde durch den Labrador des Beklagten unzweifelhaft die spezifische Tiergefahr verwirklicht. Aber der Jack-Russell-Terrier hat keinerlei Aktionen gezeigt. Er war noch angeleint, hat keinen Beitrag zu dem Geschehen geleistet.

Streitig war hier die Frage, ob in der vorherigen Zustimmung zum Ableinen des Jack-Russell-Halters ein Mitverschulden hergeleitet werden könne, indem er seine Sorgfaltspflichten verletzte.

Nach Ansicht der Richter liegt es alleine im Verantwortungsbereich der jeweiligen Tierhalter, wie der eigene Hund ohne Leine reagiere. Eine Haftung tritt auch dann ein, wenn – wie im zugrunde liegenden Rechtsstreit – der andere Hund nur spielen will. Sind die Hunde abgeleint und verursachen einen Schaden, wird das dem Halter zugerechnet.

Wenn beide Hunde aufeinander losgehen, wird eine Hälftelung der Quote sinnvoll.

Allerdings wurde im zugrunde liegenden Fall der  Schaden allein durch den Labrador verursacht, während der Jack-Russell-Terrier keinerlei Beitrag hierzu leistete. Dahingehend wäre es nicht gerechtfertigt, über das Mitverschulden des Halters des Jack-Russel-Terriers die Haftung zu minimieren.

Somit haftet der Halter des Labradors, der Beklagte, vollumfänglich für den Schaden.

Der Kläger kann Erstattung des gesamten Schadens vom Beklagten verlangen.

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Susan Beaucamp

Rechtsanwältin

Ausführen eines „Hunderudels“

Erhöhte Sorgfaltsanforderungen beim Ausführen eines „Hunderudels“

LG Dortmund, Urteil vom 15.05.2014, 5 O 257/13

OLG Hamm, Urteil vom 03.02.2015, 9 U 91/14

Bei einer „Rudelführung“ von Hunden, das heißt das Ausführen von mehreren Hunden im gleichen Zeitpunkt, sei das Gefährdungspotential für Dritte gesteigert. Daher sind an den Hundeführer erhöhte Sorgfaltsanforderungen zu stellen.

Der Sachverhalt:

In dem entschiedenen Fall begegneten sich die Klägerin und die Beklagte bei einem Spaziergang im April 2013. Von der Beklagten wurden gleichzeitig drei Hunde an der Leine ausgeführt.

Dabei handelte es sich um ihren eigenen Schäferhund und aus Gefälligkeit einen Boxermischling und einen Cane Corso eines Bekannten. 

Bei dem Zusammentreffen der Klägerin und der Beklagten sprang der Cane Corso die Klägerin, eine 22 jährige Frau, überraschend an, als die Beklagte und ihre drei Hunde an ihr vorbei laufen wollten.

Die Klägerin erlitt bei jenem Aufeinandertreffen Schürfwunden unter ihrem Auge und eine kleinere blutende Gesichtsverletzung, welche anschließend auch eine Narbe hinterließ.

Aufgrund dieser Verletzungen verlangte die Klägerin von der Beklagten ein Schmerzensgeld in Höhe von 3.000 €.

Die Entscheidung der Gerichte:

Das Landgericht Dortmund wies die Klage zurück, der Klägerin stehe kein Schmerzensgeldanspruch gegen die Beklagte zu.

Anders jedoch urteilte das Oberlandesgericht Hamm. Der Klägerin sei ein Anspruch in Höhe von 3.000 € entstanden. Anspruchsgrundlage ist jedoch nicht § 833 (Tierhalterhaftung) oder § 834 (Tierhüterhaftung) sondern § 823 BGB.

Nach Ansicht des OLG habe die Beklagte während ihres Spaziergangs mit den drei Hunden Verkehrssicherungspflichten verletzt.

Beim Ausführen von Hunden müssten die Tiere derart gehalten werden, dass von den Hunden keine Gefahr für Leben und / oder Gesundheit anderer Passanten entstünden, denen sie beim Ausgang begegnen.

Der große Hund Cane Corso sei zwar, wie es auch das Landeshundegesetz in Nordrhein-Westfalen verlange, an der Leine geführt worden, aber sie habe den Hund nicht so ausgeführt, dass er andere Menschen nicht anspringen und verletzen könne, wie der vorliegende Fall zeige.

Es sei nicht ausreichend gewesen, dass die Beklagte den Hund nah bei sich gehalten habe. Sie hätte jedoch von vornherein ein Hochspringen des Hundes durch einen sicheren Griff vermeiden müssen. Überdies sei es der Beklagten nach ihrer Aussage bekannt gewesen, dass der Hund schon mal an Personen zum Schmusen hochspringe.

Zudem sei es auch keine Entlastung, dass sie noch zwei weitere Hunde an der Leine gehabt habe.

Eine „Rudelführung“ von Hunden wie vorliegend sei zwar nicht verboten, allerdings sei dadurch das Gefährungspotential für Dritte erhöht und dementsprechend erhöhen sich die an den Hundeführer zu stellenden Sorgfaltsanforderungen.

Mithin erhält die Klägerin Schadensersatz von der Beklagten, auch wenn diese nicht die eigentliche Halterin des Hundes war – denn während ihres Spaziergangs wurden die ihr entstandenen Verkehrssicherungspflichten nicht erfüllt. Diejenigen, die für andere aus reiner Gefälligkeit Hunde ausführen, d.h. ihnen nicht gehörende Hunde mit ihren eigenen z.B .zum Spaziergang mitnehmen, haften unter Umständen auch, wenn es zu einer Verletzung eines Menschen oder eines anderen Hundes durch diesen Hund kommt.

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Susan Beaucamp

(Rechtsanwältin)

positiver Wesenstest NHundG

NHundG: Nachträglicher positiver Wesenstest ändert nichts an offizieller Gefährlichkeitsfeststellung

Offizielle Gefährlichkeit bleibt, aber Aufhebung des Leinenzwangs möglich

Dass ihr Hund doch nicht gefährlich im Sinne des Niedersächsischen Landeshundegesetzes sei, wollte eine Frau vor dem OVG Lüneburg beweisen.
Dazu legte sie sowohl die Stellungnahme ihrer Hundetrainerin, einen positiven Wesenstest ihres Hundes als auch Zeugenaussagen vor und bot zusätzlich die Einholung eines Sachverständigengutachtens an, das bescheinigen sollte, dass ihr Hund kein aggressives Verhalten an den Tag lege. Trotz dessen konnte das Gericht ihr bei korrekter Anwendung des Gesetzes nicht recht geben (11. Senat des OVG Lüneburg, Beschluss vom 25. Januar 2013, Aktenzeichen: 11 PA 294/12; Vorinstanz: VG Braunschweig, Beschluss vom 15. Oktober 2012, Aktenzeichen: 5 A 51/12).

Denn das Niedersächsische Hundegesetz sieht eine solche Berücksichtigung nachträglicher Veränderungen nicht vor. Vielmehr erfolgt die Gefährlichkeitsfeststellung des Hundes allein aufgrund eines konkreten Gefahrenverdachts:
Nach § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 NHundG hat die Fachbehörde, wenn sie einen Hinweis darauf erhält, dass ein Hund eine gesteigerte Aggressivität aufweist, insbesondere Menschen oder Tiere gebissen oder sonst eine über das natürliche Maß hinausgehende Kampfbereitschaft, Angriffslust oder Schärfe gezeigt hat, den Hinweis zu prüfen. Kommt sie bei dieser Prüfung zu dem Ergebnis, der Hund sei tatsächlich gesteigert aggressiv, stellt sie die Gefährlichkeit offiziell fest.

Dagegen kann der Hundehalter zwar selbstverständlich juristisch vorgehen, aber eben nicht mit dem Argument, erst nachträglich sei festgestellt worden, der Hund zeige gar kein aggressives Verhalten. Denn diese nachträglichen Erkenntnisse ändern nichts daran, dass zum Zeitpunkt der offiziellen Begutachtung des Hundes aus Sicht der Behörde der begründete Verdacht bestand, dass von dem Tier eine Gefahr ausgehen könnte.

Deshalb stellte auch das OVG Lüneburg klar: „Die aufgrund eines zu Recht angenommenen Gefahrenverdachtes erfolgte Feststellung der Gefährlichkeit eines Hundes kann nicht nachträglich dadurch in Frage gestellt werden, dass sich etwa bei einem später durchgeführten Wesenstest keine tatsächlichen Hinweise auf eine gesteigerte Aggressivität des Hundes ergeben.“ (Leitsatz)

 

Nur am Rande weise ich darauf hin, dass ein positiver Wesenstest nach dem NHundG Voraussetzung zur Haltung des zuvor als gefährlich eingestuften Hundes ist. Dennoch können positive nachträgliche Erkenntnisse durchaus hilfreich sein:

So kann insbesondere ein positiver Wesenstest die Folgen der offiziellen Gefährlichkeitsfeststellung etwas abmildern: Denn es besteht nach § 14 Abs. 3 S. 2 NHundG die Möglichkeit, dass die Fachbehörde in diesem Falle den Leinenzwang ganz oder teilweise aufheben kann. Dafür ist ein Antrag des Hundehalters bei der Behörde notwendig.

“ Kampfbereitschaft oder Angriffslust eines Hundes“ LHundG

Wann zeigt der Hund eine „über das natürliche Maß hinausgehende Kampfbereitschaft oder Angriffslust“?

Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe in den Landeshundegesetzen durch die Gerichte

(  “ Kampfbereitschaft oder Angriffslust eines Hundes“ Landeshundegesetze  )Das sollten wir Hundehalter wissen, wenn wir aufgrund des Verhaltens unserer Hunde mit behördlichen Repressalien, wie Leinen- oder Maulkorbzwang, Gefährlichkeitsfeststellungen, Befriedung unseres Grundstückes und vielem mehr konfrontiert werden. Viele Gesetze nutzen Rechtsbegriffe, die so unbestimmt sind, dass mit ihnen per se nur wenig anzufangen ist. Die einzelnen Hundegesetze der Bundesländer machen da leider keine Ausnahme. Oft bedarf es erst einer Gerichtsentscheidung, um klarzustellen, wie ein Begriff aus dem jeweiligen Gesetz gemeint ist (rechtlich gesprochen: wie er auszulegen ist).

So lässt sich beispielsweise mit der Vorgabe „eine über das natürliche Maß hinausgehende Kampfbereitschaft oder Angriffslust“, wie sie in neun der bestehenden Landeshundegesetze oder –verordnungen steht (nämlich in § 1 Abs. 1 Nr. 4 LHundG Rheinland-Pfalz, § 5 Abs. 1 HundeG Berlin, § 8 Abs. 1 Nr. 1 HundehV Brandenburg, § 1 Abs. 1 Nr. 3 HuG Bremen,§ 2 Abs. 1 HundeVO Hessen, § 2 Abs. 1 Nr. 1 HundehVO Mecklenburg-Vorpommern § 7 Abs. 1 Nr. 1 HundG Niedersachsen, § 3 Abs. 3 Nr. 1 HundeG Sachsen-Anhalt und § 3 Abs. 2 Nr. 2 lit. a) GefTierG Thüringen), zunächst wenig anfangen. Es drängt sich die Frage auf: Wann genau zeigt denn ein Hund diese „über das natürliche Maß hinausgehende Kampfbereitschaft oder Angriffslust“?

Ein wenig Licht ins Dunkel brachte das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz. In seinem Beschluss vom 11. Juni 2013 (Aktenzeichen: 7 B 10501/13) hatte es über den Antrag einer Hundehalterin zu entscheiden, die sich gegen Anordnungen der Behörde zur Wehr setzte. Diese hatte ihr aufgegeben, ihre belgische Schäferhündin außerhalb des befriedeten Besitztums anzuleinen und ihr einen das Beißen verhindernden Maulkorb anzulegen. Denn nach mehreren Beißvorfällen, in die die Hündin mit verschiedenen Hunden verwickelt war, attestierte die Behörde dem Tier ein überdurchschnittlich aggressives Verhaltens und stufte die Hündin daher als einen gefährlichen Hund im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 4 LHundG ein.

Daran hatte das OVG nichts auszusetzen. Es betonte, dass § 1 Abs. 1 Nr. 4 LHundG entscheidend auf die aktuelle psychische Verfassung, den Ist-Zustand, des Hundes abstelle, um ein Einschreiten bereits vor dem ersten Schadensfall zu ermöglichen. So sei es nicht erforderlich, dass der Hund in der Vergangenheit gebissen, gehetzt oder aggressiv bzw. gefahrdrohend Menschen oder Artgenossen angesprungen habe; vielmehr geschehe durch diese gesetzliche Regelung quasi eine Vorverlagerung der Präventionsschwelle.

Davon ausgehend führten die Richter zu dem unbestimmten Begriff des § 1 Abs. 1 Nr. 4 aus: „Vor diesem Hintergrund hat ein Hund grundsätzlich dann eine konfliktträchtige Eigenschaft, wie Kampfbereitschaft oder Angriffslust, über das natürliche Maß hinausgehend entwickelt, wenn bei ihm, ohne dass ein nachvollziehbarer Anlass besteht, ein gefährliches Verhalten (Beißen, Hetzen oder ähnliches) früher ausgelöst wird als bei Hunden, bei denen diese Merkmale nur durchschnittlich entwickelt sind. In diesem Zusammenhang ist in Rechnung zu stellen, dass ein Hund üblicherweise bei alltäglichen Belastungen, wie Menschenansammlungen oder Begegnungen mit anderen Hunden, sozial verträglich und erst bei einem Angriff oder einer in sonstiger Weise bedrohlichen Situation aggressiv reagiert. Damit übereinstimmend ist etwa das bloße Hochspringen am Zaun und das Bellen bei einer das Grundstück des Halters passierenden Person in der Regel ein artgemäßes, der Verteidigung des Reviers dienendes Verhalten.“ (Rn. 6, zitiert nach juris)

Bloß hatte die belgische Schäferhündin der Kläger ein solches, allein der Verteidigung dienendes Verhalten in der Vergangenheit gerade nicht gezeigt: Die Hündin war mehrmals auf andere Hunde zugerannt und hatte sie gestellt sowie dann auch gebissen, bei einem der Hunde hatte sie sogar nochmals angegriffen, nachdem der Halter des attackierten Hundes sie getreten hatte. So betonte dann auch das Gericht: „Das mehrfache Sich-Stürzen auf Artgenossen, ohne dazu besonders herausgefordert zu sein, zeigt indes eine überdurchschnittlich ausgeprägte extreme Kampfbereitschaft, die mit einem rassetypischen Verhalten nicht mehr in Einklang steht.“ (Rn. 11, zitiert nach juris)

Eine genaue Kenntnis dessen, wie die Gerichte die einschlägigen unbestimmten Begriffe der Hundegesetze auslegen, kann von einem juristischen Laien nicht erwartet und auch nicht geleistet werden, sodass hier anwaltliche Beratung helfen kann, die Lage einzuschätzen.

Jagdhund tötet Katze Gefährlichkeitsfeststellung

Keine Ausnahme von Gefährlichkeitsfeststellung für Jagdhund nach Beißvorfall im Jagdbezirk seines Halters

Bestimmungsgemäßer Gebrauch eines Jagdhundes umfasst nicht Töten einer Katze neben Wohngebiet

Ein niedersächsischer Jäger wollte sich gerichtlich gegen die Gefährlichkeitsfeststellung seines im Sinne des Niedersächsischen Jagdgesetzes (NJagdG) ausgebildeten Deutsch-Drahthaar-Rüden wehren. Er scheiterte damit jedoch vor dem Verwaltungsgericht Braunschweig (Urteil vom 23. September 2015, Aktenzeichen: 5 A 46/14, AUR 2015, 472-473).

Der Gefährlichkeitsfeststellung war ein Beißvorfall voraus gegangen, der für eine Katze tödlich endete:
Mit seinem Jagdhund an der Leine fuhr der Mann auf der Rückkehr von einer Kontrollfahrt in seinem Jagdrevier einen Feldweg entlang, der ebenfalls noch zu seinem Revier gehört. Von diesem aus wollte er auf eine Straße in ein direkt angrenzendes Wohngebiet einbiegen, als sein Hund im etwa fünf Meter entfernten Gras eine Katze witterte und deshalb so stark an der Leine riss, dass sein Halter das Gleichgewicht verlor und mit dem Fahrrad umstürzte. Der Jagdhund erfasste die Katze, biss zu und schüttelte sie; trotz tierärztlicher Intensivbehandlung verstarb sie zwei Tage später an ihren schweren Verletzungen.

Daraufhin stellte die Behörde eine gesteigerte Aggressivität des Hundes und damit seine Gefährlichkeit nach § 7 NHundG fest. Gegen diese Gefährlichkeitsfeststellung wandte sich der Jäger mit dem Argument, sein Hund habe die Katze entsprechend seiner jagdlichen Ausbildung und deswegen im Rahmen des bestimmungsgemäßen Gebrauchs als Jagdhund gefasst. Er sei im Rahmen seiner Ausbildung dahingehend geschult, wildernde Hunde und Katzen zu ergreifen und abzutun, und bei der Situation, in der sein Hund die Katze gebissen hatte, habe es sich um eine jagdähnliche Situation gehandelt: Denn die im Gras streunende Katze sei für seinen Jagdhund kein Haustier, sondern ein wilderndes Wildtier gewesen.

Dieses Argument ließ das Gericht jedoch nicht gelten. Es betonte, dass eine Ausnahme von der Gefährlichkeitsfeststellung bei einem Beißvorfall wie dem hier vorliegenden nur dann möglich sei, wenn es sich um ein sogenanntes erlaubtes Beißen im  Rahmen des bestimmungsgemäßen Gebrauchs etwa eines Dienst-, Wach- oder Jagdhundes gehandelt hat. Dies war hier jedoch gerade nicht der Fall, denn die Katze hatte sich sehr nahe am nächsten Wohnhaus aufgehalten, was nicht den Vorgaben des § 29 NHundG entspricht. Danach dürfen Jäger in ihrem Jagdbezirk wildernde Katzen töten, wenn sich diese mehr als 300 Meter vom nächsten Wohnhaus entfernt befinden. So führte das Gericht in seinem Leitsatz aus: „Von einer Gefährlichkeitsfeststellung nach § 7 Abs. 1 NHundG ist nach einem Beißvorfall nicht ausnahmsweise deshalb abzusehen, weil der betreffende Hund als Jagdhund ausgebildet und sich auf einer Kontrollfahrt innerhalb des Jagdbezirks seines Halters befunden hat, wenn das Beißen mit den jagdrechtlichen Bestimmungen nicht in Einklang gestanden hat und insbesondere die Voraussetzungen des Jagdschutzes nach § 29 NJagdG offensichtlich nicht vorgelegen haben.“

Außerdem stellte das Gericht darauf ab, dass der Jagdhund die Katze aufgrund eines eigenmächtigen Entschlusses gefasst und hierdurch seinen Halter, der ihn an der Leine geführt hatte, derart überrascht hatte, dass dieser vom Fahrrad gefallen war und infolgedessen nicht mehr auf ihn einwirken konnte. Daher könne, so das Gericht, nicht davon ausgegangen werden, dass von der Hundehaltung des Jägers keine Gefahren für andere Menschen oder Tiere ausgehen. Die Gefährlichkeitsfeststellung seitens der Behörde sei also rechtmäßig.

 

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Susan Beaucamp