Einstufung eines Schäferhundes als gefährlicher Hund

OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 12.06.2018 – OVG 5 N 69.16

vorgehend VG Cottbus, Urt. v. 22.09.2016 – VG 3 K 281/13

Sachverhalt:

Die beklagte zuständige Ordnungsbehörde erhielt zunächst Kenntnis von einem Beißvorfall mit einem Schäferhund, wonach dieser einen Welpen mehrfach gebissen haben soll. Der Welpe sei dabei leicht am Bauch verletzt worden, habe allerdings nicht behandelt werden müssen. Etwa ein dreiviertel Jahr später wurde der Beklagten ein weiterer Vorfall mit diesem Schäferhund gemeldet. Dabei soll der Schäferhund unangeleint von einem Grundstück auf ein Kind, das mit seinem Fahrrad auf dem Bürgersteig vor dem Grundstück stand, zugelaufen sein, es angesprungen und gebissen haben, wobei die Jacke des Kindes beschädigt wurde und es am Oberschenkel Hämatome erlitt. Dabei soll der Schäferhund die Rufe des Halters ignoriert haben. Der Kläger, Halter und Eigentümer des besagten Schäferhundes, erhielt daraufhin eine Ordnungsverfügung, wonach der Schäferhund als gefährlich im Sinne des § 8 Abs. 1 Nr. 2,4 Hundehalterverordnung eingestuft wurde. Zusätzlich wurde ein Leinen- und Maulkorbzwang außerhalb befriedeten Besitztums angeordnet. Der Schäferhund dürfe auch nur noch Personen überlassen werden, die den Schäferhund sicher führen könnten und die zum Führen gefährlicher Hunde erforderliche Erlaubnis besäßen. Für den Fall des Zuwiderhandelns wurde ein Zwangsgeld von je fünfhundert Euro festgesetzt.

Gegen diese Verfügung legte der Kläger Widerspruch ein. Er behauptete, sein Schäferhund habe ganz normal mit dem Welpen gebalgt, eine Aggression seitens des Schäferhundes hätte nie bestanden, auch habe er nicht nach ihm gebissen. Auch der Vorfall mit dem Kind wurde bestritten. Zwar sei der Schäferhund auf das Kind zugelaufen, er habe es aber weder angesprungen noch gebissen. Außerdem sei der Schäferhund hierbei an einer Flexileine angeleint gewesen.

Nachdem die Beklagte alle Beteiligten sowie einen weiteren Zeugen angehört hatte, änderte sie ihre Verfügung durch Widerspruchsbescheid dahingehend ab, dass der Leinenzwang nicht für als „Hundeauslaufgebiet“ gekennzeichnete Flächen gelte, sofern der Hund durch einen Maulkorb gesichert sei, im Übrigen wurde der Widerspruch zurückgewiesen. Hiergegen wendete sich der Hundehalter mit seiner Klage.

 

Entscheidung:

Die Klage wurde in erster Instanz abgewiesen und auch der Antrag auf Zulassung der Berufung blieb ohne Erfolg.

Der Bescheid der Beklagten in Gestalt des Widerspruchsbescheids war rechtmäßig und verletzte den Kläger nicht in seinen Rechten.

Der Schäferhund wurde zu Recht als gefährlich eingestuft. Nach § 8 Abs. 1 Nr. 2 HundehVO gelten Hunde als gefährlich, die als bissig gelten, weil sie einen Menschen oder ein Tier durch Biss geschädigt haben, ohne selbst angegriffen oder dazu durch Schläge oder in ähnlicher Weise provoziert worden zu sein, oder weil sie einen anderen Hund trotz dessen erkennbarer artüblichen Unterwerfungsgestik gebissen haben. Nach Anhörung der Beteiligten und der Zeugen hat sich der Sachverhalt zumindest hinsichtlich des Vorfalls mit dem Kind bestätigt. Dabei verlangt die Schädigung durch einen „Biss“ nicht, dass die Zähne des Hundes die Haut des Opfers durchdringen müssen. Ein Zuschnappen mit Verletzungsfolgen reicht aus. Es kommt dabei weder auf die Größe und Intensität der Hämatome und Verletzungen noch auf das Erfordernis einer ärztlichen Behandlung an. Vorliegend hatte das Kind Hämatome davon getragen, welche auch durch Fotos belegt werden konnten. Der Vorgang konnte zudem durch die beschädigte Jacke bestätigt werden. Der Kläger hatte zudem für die beschädigte Jacke 50€ an die Eltern des Kindes gezahlt, was auch dafür sprach, dass sich der Vorfall so zugetragen hat.

Auf die Frage, ob eine Gefährlichkeit des Hundes des Klägers auch wegen des Vorfalls mit dem Welpen zu bejahen ist, kam es daher nicht mehr an, jedoch sprachen auch hier die Zeugenaussagen dafür, dass es sich nicht um normales balgen gehandelt habe. Vielmehr sei der Schäferhund in aggressiver Weise auf den Welpen losgegangen.

Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Ordnungsverfügung lagen daher vor. Die Anordnungen waren auch nicht unverhältnismäßig. Sie waren geeignet und erforderlich, um die Bevölkerung bzw. andere Tiere vor dem Schäferhund des Klägers zu schützen. Angesichts des geringen Eingriffs in die Handlungsfreiheit des Klägers bestanden auch keine Zweifel an der Angemessenheit der Regelungen. Das OVG konnte zudem keinerlei Fehler in der Beweiswürdigung feststellen, so dass kein Grund für die Zulassung der Berufung bestand.

 

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Rechtsanwältin Susan Beaucamp

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Zur Einstufung eines American Bullys als gefährlicher Hund

Listenhunde

Listenhunde NRW

OVG Münster, Beschluss vom 11.06.2018 – 5 B 222/18

Sachverhalt:

Die Antragstellerin ist Halterin eines sogenannten American Bullys. Sie erhielt von der zuständigen Ordnungsbehörde eine Ordnungsverfügung, nach welcher ihr die Haltung des American Bullys untersagt und sie zur Abgabe des American Bullys aufgefordert wurde. Für den Fall, dass sie der Anordnung nicht nachkomme, wurde ein Zwangsmittel angeordnet. Zusätzlich wurde die sofortige Vollziehung angeordnet. Hiergegen beantragte die Hundehalterin vorläufigen Rechtsschutz beim Verwaltungsgericht Köln. Dieses hatte zunächst den Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung abgewiesen. Gegen die Entscheidung legte die Antragstellerin Beschwerde zum OVG ein.

 

Entscheidung:

Das OVG Münster gab der Beschwerde statt und ordnete die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage an.

Erstinstanzlich hatte das Verwaltungsgericht Köln zunächst angenommen, dass die Einordnung des American Bullys als gefährlicher Hund im Sinne des § 3 Abs. 2 Satz 2 LHundG NRW keinen ernstlichen Zweifeln begegne. Unstreitig handele es sich bei dem Hund der Antragstellerin um einen American Bully. Dies ist eine Züchtung aus American Staffordshire Terriern und Pitbull Terriern, ohne dabei selbst eine anerkannte Hunderasse zu sein. Daher seien American Bullys als Kreuzungstiere im Sinne des § 3 Abs. 2 Satz 2 LHundG NRW anzusehen, da ganz regelmäßig der Phänotyp einer der beiden Rassen hervortrete. Dies sei auch hier von der Amtstierärztin im Rahmen eines Rassengutachtens festgestellt worden.

Das Oberverwaltungsgericht hegte an dieser Ansicht jedoch erhebliche Zweifel, denn der American Bully ist zwar weder nach FCI noch nach VDH eine eigene Hunderasse, wohl aber seit 2013 nach dem amerikanischen United Kennel Club (UKC), der einen entsprechenden Rassestandard anerkannt hat. Es komme daher zumindest in Betracht, dass es sich bei dem American Bully nicht lediglich um eine Kreuzung, sondern um eine eigenständige Hunderasse handelt, welche nicht von § 3 Abs. 2 Satz 2 LHundG umfasst ist.

Das Gesetz verwendet den Begriff der Rasse ohne ihn genauer zu definieren, es bezieht sich insoweit auf die Definitionen der Rassestandards durch Zuchtverbände. Unter welchen Voraussetzungen ein Hund, der nicht einer im Gesetz ausdrücklich genannten Hunderassen angehört, dennoch als gefährlicher Hund eingestuft werden kann, ist gerichtlich noch nicht allgemein und abschließend entschieden.

Handelt es sich bei dem Hund der Antragstellerin nicht um einen gefährlichen Hund im Sinne des   § 3 Abs. 2 Satz 2 LHundG NRW, so wäre der Hund lediglich als großer Hund gemäß § 11 Abs. 1 LHundG NRW einzustufen. Eine Haltungsuntersagung nach § 12 Abs. 2 Satz 2 LHundG NRW hätte dann keine Grundlage. Sollte man jedoch zu dem Schluss kommen, dass der Hund als gefährlich im Sinne des § 3 Abs. 2 Satz 2 LHundG NRW einzustufen ist, so lägen die Voraussetzungen für eine solche Verfügung vermutlich vor, da die Halterin kein besonderen privates Interesse an der Haltung des Hundes dargelegt hat. Die Verfügung wäre dann aller Voraussicht nach nicht zu beanstanden.

Im vorläufigen Rechtsschutzverfahren bedarf es einer Interessenabwägung zwischen den Interessen des Antragstellers und denen des Antragsgegners im Hinblick auf die Folgen der sofortigen Vollziehung, wenn die Erfolgsaussichten in der Hauptsache nach summarischer Prüfung offen sind. Diese Abwägung fällt hier zu Lasten der Behörde aus. Würde die Beschwerde zurückgewiesen und würde sich in der Hauptsache die Verfügung als rechtswidrig erweisen, so bestünde die Gefahr, dass der American Bully zu Unrecht in ein Tierheim verbracht werden müsste. Hierbei würden Kosten entstehen und der American Bully würde aus seinem gewohnten Umfeld gerissen. Da der American Bully zudem bislang anstandslos von der Antragstellerin gehalten wurde, ist keine konkrete Gefahr für Dritte erkennbar, würde der American Bully bis zur endgültigen Entscheidung bei ihr verbleiben.

Die endgültige Entscheidung darüber, ob ein American Bully nun als Kreuzung oder als eigenständige Rasse – die jedoch nicht vom LHundG umfasst ist – anzusehen ist, bleibt bis zur Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten.

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Rechtsanwältin Susan Beaucamp

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Zur Feststellung der Gefährlichkeit bei Beteiligung mehrerer Hunde

OVG Magdeburg, Beschluss vom 03.07.2018 – 3 M 252/18,

vorgehend VG Halle, Beschluss vom 16.05.2018 – 1 B 79/18

 

Sachverhalt:

Die Antragsgegnerin als zuständige Ordnungsbehörde erhielt durch eine Anzeige Kenntnis von einem Beißvorfall, bei dem die FoxterrierHündin der Anzeigeerstatter von den beiden Landseer-Hündinnen der Antragstellerin gebissen wurde. Der Terrier erlitt dabei mehrere Bisswunden, die medikamentös behandelt, aber nicht genäht werden mussten.

Der Hergang des Vorfalls ist dabei zwischen den Hundehaltern umstritten. Die Halter des Terriers hatten angegeben, dass die beiden Landseer unangeleint waren und ohne ersichtlichen Grund auf den Terrier zugestürmt seien und diesen vierzehnmal in die Flanken gebissen hätten, obwohl der Terrier sich ihnen unterworfen habe. Die Antragstellerin hat dagegen angegeben, dass der unangeleinte Terrier auf einmal, während sie ihre beiden Hunde angeleint ausführte, auf die Landseer zugerannt kam und die jüngere der beiden Hündinnen in die Lefze gebissen habe (wobei eine Verletzung nicht nachgewiesen wurde). Sie sei daraufhin gestürzt und die Hunde hätten sich losgerissen und seien dem Terrier gefolgt. Als dieser sich ihnen unterworfen habe, hätten die beiden Hündinnen von ihm abgelassen.

Die Antragsgegnerin hatte im Folgenden per Bescheid die Gefährlichkeit der beiden Landseer festgestellt und einen Leinen- und Maulkorbzwang angeordnet und deren sofortige Vollziehung angeordnet. Die Antragstellerin hat hiergegen einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung beziehungsweise in Bezug auf die Anordnungen des Leinen- und Maulkorbzwangs die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung gestellt.

 

Entscheidung:

Der Antrag hatte Erfolg, sowohl vor dem Verwaltungsgericht, als auch auf die Beschwerde der Antragsgegnerin hin vor dem Oberverwaltungsgericht.

Dem Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO ist stattzugeben, wenn an der Rechtmäßigkeit des Bescheids ernstliche Zweifel bestehen, also wenn aufgrund einer summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage ein Erfolg des Antragstellers im Hauptsacheverfahren wahrscheinlicher ist als ein Unterliegen. Vorliegend begegnet die Feststellung der Gefährlichkeit der beiden Landseer ernstlichen Zweifeln.

Rechtsgrundlage für die Feststellung der Gefährlichkeit eines Hundes ist § 4 Abs. 4 Satz 1,2 HundeG LSA. Hiernach hat die Behörde Hinweise auf einen Hund, der eine gesteigerte Aggressivität oder Kampfbereitschaft aufweist oder Menschen oder andere Tiere gebissen hat, von Amts wegen zu überprüfen. Kommt die Behörde zu dem Schluss, dass von dem Hund tatsächlich eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit ausgeht, so stellt sie dessen Gefährlichkeit fest. Gemäß § 3 Abs. 3 Nr. 2 HundeG LSA sind im Einzelfall gefährliche Hunde solche, die sich als bissig erwiesen haben, ohne dabei selbst angegriffen worden zu sein. Seit der Neufassung des § 3 Abs. 3 HundeG LSA ist grundsätzlich jede durch den Biss verursachte körperliche Beeinträchtigung erheblich, es sei denn, sie ist nur ganz geringfügig.

Diese Voraussetzungen waren vorliegend zumindest nicht hinreichend aufgeklärt. Die Tatsache, dass der Foxterrier von den beiden Landseern gebissen wurde reicht zur Feststellung der Gefährlichkeit allein nicht aus, es muss darüber hinaus festgestellt werden, dass die beiden Hündinnen nicht zuvor selbst angegriffen wurden. Durch die zusätzlich geschaffene Voraussetzung „ohne selbst angegriffen worden zu sein“, soll den Behörden einen Ermessensspielraum bei der Beurteilung von konkreten Vorfällen eröffnet werden um zu ermöglichen, dass solche Fälle ausgenommen werden können, in denen ein Hund eindeutig aus artgerechtem Abwehr- und Verteidigungsverhalten reagiert hat. Zwar ist die Hinzuziehung von Sachverständigen zur Aufklärung von Beißvorfällen nicht zwingend notwendig, jedoch soll in Zweifelsfällen wie diesem ein Tierarzt mit ethologischen bzw. kynologischen Kenntnissen hinzugezogen werden. Die Antragstellerin hatte zur Untermauerung ihrer Sachverhaltsschilderung zwei Zeugen benannt, die später sogar eidesstattliche Versicherungen abgegeben hatten. Die Antragsgegnerin hat diese Zeugen jedoch gar nicht erst angehört, sondern den Sachverhalt, so wie ihn die Halter des Terriers in ihrer Anzeige dargestellt hatten, als tatsächlich unterstellt und keinerlei weitere Aufklärung betrieben. Obwohl die Antragstellerin ihrerseits Anzeige gegen die Halter des Terriers erstattet hatte, wurden keinerlei Untersuchungen hinsichtlich der Feststellung der Gefährlichkeit des Terriers unternommen. Obwohl greifbare Anhaltspunkte dafür vorlagen, dass die beiden Landseer sich lediglich verteidigt hatten, hat die Antragsgegnerin dies nicht weiter aufgeklärt und ist daher ihrer Aufklärungspflicht nicht nachgekommen. Die Antragsgegnerin hat es von vornherein gänzlich unterlassen einer sich hier aufdrängenden Entlastungsmöglichkeit für die als gefährlich festzustellenden Hunde nachzugehen. Ob die Landseer-Hündin bei dem Angriff des Terriers tatsächlich verletzt wurde ist dabei unerheblich, denn ein Angriff nach § 3 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 HundeG LSA setzt nicht zwingend die Verletzung des angegriffenen Hundes voraus.

Auch das Argument der Antragsgegnerin, dass jedenfalls die ältere Hündin, die den Foxterrier  ebenfalls gebissen haben soll, selbst nicht angegriffen worden sei und sich die Antragstellerin deshalb auch nicht auf den Rechtfertigungstatbestand berufen könne, vermag nicht zu überzeugen, denn unter einem Angriff im Sinne der vorgenannten Bestimmung ist jede Bedrohung schützenswerter Interessen des Hundes durch Menschen oder Tiere zu verstehen. Sollte es deshalb zutreffen, dass der Foxterrier die jüngere Hündin gebissen oder attackiert hat, ist davon auszugehen, dass die ältere Hündin lediglich den „Familienverband“ bzw. das „Rudel“ gegen Angriffe verteidigen und die jüngere Hündin beschützen wollte. In diesem Fall wäre das Angriffsverhalten der älteren Hündin zugleich als artgerechtes Verteidigungs- oder Abwehrverhalten anzusehen.

 

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Rechtsanwältin Susan Beaucamp

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