Zur Höhe des Schadensersatzes bei der Verletzung von Tieren

Zur Ermittlung der noch verhältnismäßigen Heilbehandlungskosten bedarf es stets einer wertenden Gesamtbetrachtung aller Umstände des konkreten Einzelfalls seitens des Tatrichters. Dabei kann auch das individuelle Verhältnis zwischen dem Geschädigten und dem verletzten Tier von Bedeutung sein.“

Bundesgerichtshof, Urteil vom 27.10.2015, Az. VI ZR 23/15

Der Sachverhalt

Der Kläger ist Eigentümer und Halter eines Jack-Russel-Mischlings, den er im Jahre 2012 für 250 Euro einem Tierheim abgekauft und der sich zu einem durchschnittlichen Familienhund entwickelt hat. Die Ehefrau des Klägers passiert auf einem Spaziergang in Begleitung des nicht angeleinten Hundes das Grundstück des Beklagten, auf dem sich ein ebenfalls nicht angeleinter Wolfshund, dessen Halter der Beklagte ist, befindet. Die Hunde begegnen sich am Gartenzaun, der Wolfshund springt über den Zaun und fügt der deutlich kleineren Mischlingshündin erhebliche Verletzungen zu. Es kann nicht festgestellt werden, dass die Beißerei zwischen den Hunden hätte verhindert werden können, wenn die Ehefrau des Klägers die Mischlingshündin angeleint hätte. Der Beklagte seinerseits hat es fahrlässig unterlassen, für eine hinreichend Einzäunung seines Grundstücks zu sorgen.

Die tierärztliche Behandlung kostet 4.177,59 Euro. Die Tierhalterversicherung des Beklagten erstattete dem Kläger die Hälfte dieses Betrags. Der Kläger verlangt von dem Beklagten die restlichen Kosten ersetzt. Der Beklagte widerspricht, weil die Kosten im Verhältnis zum Wert des Hundes zu hoch seien. Zudem weist er darauf hin, dass – was zutrifft – am Wohnsitz des Klägers für den Unterhalt eines Hundes jährlich ca. 1.000 Euro (Tierarzt, Steuer, Futter etc.) anfallen.

Das Amtsgericht hat den Beklagten zur Zahlung von 1.253,28 € nebst Zinsen verurteilt, wobei es auf Grund der von dem Hund des Klägers ausgehenden Tiergefahr eine Mithaftung des Klägers zu 20% angenommen hat (4.177,59 € x 80% abzüglich vorgerichtlich gezahlter 2.088,80 €). Auf die Berufung des Beklagten hat das Landgericht die Klage unter Abänderung des amtsgerichtlichen Urteils abgewiesen, soweit der Beklagte zur Zahlung von mehr als 311,20 € nebst Zinsen verurteilt worden war; die weitergehende Berufung hat es zurückgewiesen. Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision begehrt der Kläger die Wiederherstellung des amtsgerichtlichen Urteils. Der Beklagte hat Anschlussrevision mit dem Ziel der vollständigen Klageabweisung eingelegt.

Das Urteil

Die Revision bleibe ohne Erfolg, soweit sie sich gegen die Bemessung der Anspruchshöhe wende. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, wonach nicht der für die Heilbehandlung aufgewandte Geldbetrag in Höhe von 4.177,59 € ersatzfähig sei, sondern der Beklagte dem Kläger nach § 251 Abs. 2 BGB iVm § 249 BGB – vorbehaltlich der Prüfung des Mitverschuldens – Ersatz der Heilbehandlungskosten in Höhe von 3.000 € schulde, halte revisionsrechtlicher Nachprüfung stand. Ohne durchgreifenden Rechtsfehler habe das Berufungsgericht die entstandenen Aufwendungen als unverhältnismäßig angesehen.

Der zum Schadensersatz Verpflichtete habe dem Geschädigten gemäß § 249 Abs. 1 BGB vollständige Restitution zu leisten. Im Fall der Beschädigung einer Sache – entsprechend sei die Verletzung eines Tieres zu behandeln – könne der Geschädigte statt der Herstellung den dazu erforderlichen Geldbetrag verlangen. Nach § 251 Abs. 2 Satz 1 BGB könne der Ersatzpflichtige allerdings den Gläubiger in Geld entschädigen, wenn die Herstellung nur mit unverhältnismäßigen Aufwendungen möglich sei. Diese Ersetzungsbefugnis könne der Schuldner auch gegenüber dem Zahlungsanspruch aus § 249 Abs. 2 BGB geltend machen. Sie sei eine besondere Ausprägung von Treu und Glauben und begrenzt die Ersatzpflicht unter dem Gesichtspunkt der Zumutbarkeit. Die Zumutbarkeitsgrenze sei durch eine Güter- und Interessenabwägung zu ermitteln, bei der auch andere Umstände als das reine Wertverhältnis zu berücksichtigen seien.

Im Fall der Verletzung eines Tieres bestimme § 251 Abs. 2 Satz 2 BGB angesichts der herausgehobenen Anerkennung des Tierschutzes durch die Rechtsordnung, dass die aus der Heilbehandlung des Tieres entstandenen Aufwendungen nicht bereits dann unverhältnismäßig seien, wenn sie dessen Wert erheblich übersteigen. Das bedeute zwar nicht, dass eine Verpflichtung zum Schadensersatz in unbegrenzter Höhe bestehe, verlange aber, dass dem Interesse des Schädigers, nicht mit den Behandlungskosten belastet zu werden, bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung nicht nur der Wert des Tieres gegenübergestellt werde, sondern auch das aus der Verantwortung für das Tier folgende immaterielle Interesse an der Wiederherstellung seiner Gesundheit und seiner körperlichen Integrität. So könnten bei Tieren mit einem geringen materiellen Wert Behandlungskosten auch dann ersatzfähig sein, wenn sie ein Vielfaches dieses Wertes ausmachen würden. Nach Auffassung des Gesetzgebers komme es für die Bestimmung der Zumutbarkeitsgrenze auf das Maß des Verschuldens des Schädigers, das individuelle Verhältnis zwischen dem Geschädigten und dem verletzten Tier sowie darauf an, ob die aufgewendeten Heilbehandlungskosten aus tiermedizinischer Sicht vertretbar gewesen seien.

Entgegen der Auffassung der Revision habe sich das Berufungsgericht – auch in Ansehung einer einzelnen missverständlichen Wendung – nicht unter Verkennung der Mitgeschöpflichkeit der Tiere von rein wirtschaftlichen Erwägungen leiten lassen. Es habe den von ihm als gering eingeschätzten Wert des Tieres gerade wegen seiner Geringfügigkeit nicht als sachgerechten Anknüpfungspunkt für die Ermittlung der Verhältnismäßigkeitsgrenze angesehen, sondern habe maßgeblich auf das immaterielle Interesse an der Durchführung der Heilbehandlung abgestellt.

Dass es ausgehend von dieser Würdigung der konkreten Umstände des Streitfalles die Verhältnismäßigkeitsgrenze letztlich bei dem dreifachen Betrag der jährlichen Kosten der Tierhaltung gezogen habe, halte sich im Rahmen einer zulässigen tatrichterlichen Würdigung. Zwar habe der Gesetzgeber es abgelehnt, die Grenze der Zumutbarkeit als Haftungsgrenze danach zu bestimmen, was ein verständiger Tierhalter in der Lage des Geschädigten aufgewendet hätte, um zu ermöglichen, dass weitestgehend ein sachgerechter Interessenausgleich erreicht werden könne. Doch habe er diesen Gesichtspunkt damit nicht als einen unter mehreren im Rahmen der Gesamtbetrachtung des Einzelfalls verworfen.

Dadurch, dass der Kläger die nicht nur geringfügigen „Unterhaltungskosten“ freiwillig aufbringe, zeige er, was ihm die Haltung des Tieres mindestens wert sei.

Der Kläger könne – wie das Berufungsgericht angenommen habe – vom Beklagten gemäß § 249 Abs. 2, § 251 Abs. 2 Satz 2 BGB die als verhältnismäßig erachteten Heilbehandlungskosten seines Hundes verlangen (3.000 €). Insoweit habe der Gesetzgeber mit § 251 Abs. 2 Satz 2 BGB eine Ausnahmeregelung im Sinne von § 90a Satz 3 BGB geschaffen, mit der die Ersetzungsbefugnis des Schuldners nach § 251 Abs. 2 Satz 1 BGB eingeschränkt werde und der geschädigte Tierhalter Wiederherstellung in Höhe der verhältnismäßigen Heilbehandlungskosten beanspruchen könne.

Einem Tier, das im Einzelfall auch einmal keinen materiellen Wert haben könne, solle durch die Rechtsordnung die erforderliche Heilbehandlung nicht deshalb verwehrt werden, weil die Behandlungskosten auf den Wert begrenzt würden, der dem Wert des Tieres im Geschäftsverkehr entspreche, und der Eigentümer des Tieres nicht über die für die Heilbehandlung erforderlichen Geldmittel verfüge. Daher werde eine Regelung vorgeschlagen, die den vollen Ersatz der Heilbehandlungskosten vorsehe, soweit sich die entstehenden Kosten im Rahmen der allgemeinen Verhältnismäßigkeit hielten.

Für dieses Verständnis der §§ 249, 251 Abs. 2 BGB könne ferner angeführt werden, dass sich bei der Verletzung von Tieren in zahlreichen Fällen das den Schädiger treffende Prognoserisiko verwirklichen dürfte. Denn Heilbehandlungen sind hinsichtlich Dauer, Umfang und damit auch Kosten oft unübersehbar und deshalb mit Reparaturen nicht vergleichbar, insbesondere wenn Verletzungen ein unverzügliches ärztliches Handeln fordern.

Mit Erfolg beanstande die Revision dagegen die Anrechnung der Mithaftung auf Seiten des Klägers. Eine Mithaftung im Umfang von 20% stehe nicht rechtskräftig fest.

Der Schadensersatzanspruch des Klägers sei nicht wegen eines Mitverschuldens nach § 254 Abs. 1 BGB zu kürzen. Zwar habe das Berufungsgericht festgestellt, dass der Hund des Klägers nicht angeleint war. Das führe aber jedenfalls deshalb nicht zu einer Anspruchskürzung, weil den Mitverschuldenseinwand nur ein Verhalten begründe, von dem feststehe, dass es zu dem Schaden oder dessen Umfang beigetragen habe. Eine solche Feststellung habe das Berufungsgericht nicht getroffen. Es sei nicht davon ausgegangen, dass die Beißerei verhindert worden wäre, wenn der Hund angeleint gewesen wäre.

Der Kläger müsse sich auch nicht entsprechend § 254 Abs. 1, § 833 Satz 1 BGB die von seinem Hund ausgehende Tiergefahr anspruchsmindernd anrechnen lassen. Dieser habe zwar nach den vom Berufungsgericht gebilligten Feststellungen des Amtsgerichts seinen Kopf durch den Zaun gesteckt, darin läge auch ein der tierischen Natur entsprechendes unberechenbares und selbständiges Verhalten, das eine (Mit-)Haftung aus § 833 Satz 1 BGB begründen könne; der Zurechnung stehe aber § 840 Abs. 3 BGB entgegen, wonach der Tiergefahr gegenüber der Verschuldenshaftung aus § 823 BGB keine Bedeutung zukomme.

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Rechtsanwältin Susan Beaucamp